Stark gegen Harninkontinenz

Worum geht’s?

Unter Harninkontinenz versteht man den unfreiwilligen Urinverlust unter körperlicher Belastung ohne Harndrang bzw. Harnverlust bei nicht unterdrückbarem plötzlichen Drangempfinden. Es betrifft vornehmlich Prostatapatienten nach Prostatektomie (5-72 %), unter Antihormontherapie und/oder Bestrahlung.

Harninkontinenz taucht aber auch bei anderen Krebserkrankungen auf. Viele Patienten kommen durch ihre Diagnose zum ersten Mal mit dem Beckenboden in Kontakt und lernen erst nach der Operation, dass sie einen Beckenboden und einen Schließmuskel haben, den man willkürlich betätigen kann. Im Vordergrund steht daher zu Beginn eines gezielten Trainings die Wahrnehmung des Beckenbodens, die korrekte Aktivierung der Beckenbodenmuskulatur und die Alltagssanierung mit dem langfristigen Ziel des Wiedererlangens der Kontinenz. Bei den meisten Patienten verbessert sich die Inkontinenz im Laufe der Zeit und Heilung. Ein Großteil der Patienten erlangt die Kontinenz nach bis zu einem Jahr.

Was kann ich tun?

Beckenbodentraining beginnt im Alltag, z.B. mit der Aufrichtung der Wirbelsäule. Achten Sie auf eine bewusste aufrechte Körperhaltung beim Sitzen, Stehen und Gehen, sodass Sie haltungsbedingte intraabdominelle Druckerhöhungen vermeiden. Denn bei krummer Haltung wird der Bauchraum klein, die Organe wölben sich nach außen und unten, was wiederum den Beckenboden belastet. Bei aufrechter Haltung ist der Bauchraum groß, die Organe haben Platz, der Beckenboden ist wach, kann reflektorisch gegenhalten und hat mehr Kraft. In aufrechter Haltung schwingt der Beckenboden bei jedem Atemzug mit, er wird besser durchblutet. Denken Sie daran, Sie können also überall und jederzeit trainieren und es kostet keinen weiteren Zeitaufwand. Es gilt das Prinzip rückengerechtes Verhalten ist gleichzeitig beckenbodenschonend.  Gewöhnen Sie sich zur Schonung Ihres Beckenbodens an, stets über die Seitenlage aufzustehen bzw. wieder hinzulegen statt durch gradliniges Anheben des Kopfes und Oberkörpers aus der Rückenlage aufzustehen. Beim Heben schwerer Gegenstände empfiehlt sich, in die Knie (Hocke) zu gehen als würden Sie ein fremdes unsauberes Klo benutzen und mit Ausruf „und Hopp“ / “hau ruck“. Damit verhindern Sie während der Anstrengung das Luft anhalten und die Beinmuskeln liefern die notwendige Kraft.

Soforthilfen beim Husten und Niesen

Beugen Sie sich beim Husten und Niesen nicht nach vorne, sondern richten Sie sich auf. Strecken Sie Ihre Wirbelsäule und rotieren Sie den Brustkorb und Kopf nach hinten/oben und dabei in die nach hinten/oben angehobene Ellenbeuge husten/niesen. Haben Sie die Vorstellung in die hintere obere Zimmerecke zu blicken und dabei den Beckenboden „nach innen hoch zu husten“.

Korrektes Verhalten bei der Blasenentleerung und beim Stuhlgang

Die Blase ist ein dehnbares, muskuläres Hohlorgan, das den Harn bis zum Entleeren der Blase speichert. Wie jeder andere Muskel auch muss er trainiert werden. Sinnvoll ist es daher die Blase nicht gleich bei der ersten Meldung zu entleeren, sondern erst bei nicht mehr unterdrückbarem starken Harndrang. Vermeiden Sie außerdem vorsorgliche Toilettengänge, normal wären ca. 5-7 Entleerungen am Tag. Eine kontinuierliche Steigerung des Füllvolumens der Blase dient als körpereigener Trainingsreiz. Dies sorgt für eine stärkere Aktivierung der Harnröhrenschließ- und Beckenbodenmuskulatur. Meiden Sie häufiges Wasser lassen, damit Ihre Blase die Fähigkeit größere Urinmengen zu speichern beibehält und die Blasenwand elastisch bleibt. 

Lassen Sie sich bei Blasen-/Darmentleerungen Zeit. Durch häufiges starkes Pressen beim Stuhlgang riskieren Sie u.a. eine Beckenbodensenkung. Daher sollten beim Stuhlgang eher das Bild des Anschiebens statt Pressens vor Augen haben. Unterbrechen Sie während der Blasenentleerung nicht willentlich Ihren Harnstrahl– im Sinne eines vermeintlichen „Trainings“ –, so greifen Sie in den unwillkürlich gesteuerten und wohlkoordinierten Ablauf ein.

Trinkverhalten

Eine häufig naheliegende vermeintliche Lösung, der Harninkontinenz entgegenzuwirken, ist die Reduzierung der Trinkmenge. Was dem Körper weniger zugeführt wird, muss auch nicht entsorgt werden. Jedoch ist das ein Trugschluss, denn durch die verminderte Flüssigkeitszufuhr ist der Urin konzentrierter und reizt die Blase zusätzlich. Ein Dranggefühl kann sich dadurch einstellen. Trinken Sie daher ausreichend über den Tag verteilt (40 % morgens, 40% mittags, 20 % abends).Um den individuellen, täglichen Flüssigkeitsbedarf zu errechnen, gibt es eine praktikable Faustregel:

Diese Angabe ist jedoch nur als ungefährer Richtwert zu verstehen, denn es bleiben dabei einige Faktoren (Verzehr bestimmter Lebensmittel, körperliche Aktivität, Schwitzen etc.) unbeachtet, die unseren individuellen Flüssigkeitsbedarf ausmachen. Um zu kontrollieren, ob die Trinkmenge in etwa der Urinmenge entspricht, können Sie unterstützend ein Trink- und Toilettenprotokoll führen.

Beckenbodenübungen

Das Training der Beckenbodenmuskulatur sollte anfänglich unter Anleitung erfolgen evtl. auch schon vor der Operation z.B. Wahrnehmungsübungen.

Verzichten Sie auf übertriebenes Training und Daueranspannungen, da es die Inkontinenz verstärken kann. Trainieren Sie regelmäßig, aber auch nicht zu viel, maximal 2 x täglich. An erster Stelle gilt es bei den alltäglichen Aktivitäten den Beckenboden richtig einzusetzen und zu entlasten (s.o.).

Bei den Beckenbodenübungen dürfen keine akuten Schmerzen beim bzw. durch das Training verursacht werden. Die Intensität, mit dem der Beckenboden anfangs angesteuert werden soll, ist vergleichbar mit dem eines Wimpernschlags. Die Intensität der Übungen sollte allmählich gesteigert werden. Jede Übung sollte mit Atembegleitung erfolgen, denn der Beckenboden bewegt sich synchron zum Zwerchfell. Luft anhalten wäre eine massive Druckbelastung für den Beckenboden. Vermeiden Sie Pressatmung also auch bei Positionsveränderungen. Das reaktive Zusammenwirken von Zwerchfell und Beckenboden stimuliert täglich unzählige Bewegungen und verbessert so die Durchblutung in beiden Systemen.